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Christus ist unser Leben - Der Weg des orthodoxen Christen

 

Das Leben in Christus beginnt mit der Taufe des Gläubigen. Es ist getragen von den Charismen und Gnadengaben des Heiligen Geistes, dessen Siegel wir in der hl. Myronsalbung empfangen haben. Der hl. Porphyrios von Kavsokalivia charakterisiert dieses neu Leben, was wir bei unserem Eintritt in die Kirche, den mystischen Leib Christis auf Erden empfangen haben: „Wenn wir Christus lieben, wird unsere Seele von der jeder Furcht und der Herzenshärte befreit. Wer Christus liebt, meidet die Sünde.“

 

Eine der wichtigsten geistlichen Schriften aus der byzantinischen Epoche unserer Kirche ist „Das Leben in Christus“ des hl. Nikolaos Kabasilas. Dieses Buch ist auch in verschiedenen deutschen Übersetzungen zugänglich (z.B. 978-3-89411-299-8). Neben seiner bekannten Auslegung der Göttlichen Liturgie (Nicolas Cabasila; Explication de la divine liturgie, Paris 1943) gehört seine Schrift das „Leben in Christus“ zu tiefsten und schönsten Ausführungen über das orthodoxe Glaubensleben.

 

Die orthodoxe Theologie und Spiritualität blicken nicht auf philosophische oder mystische Theorien, sondern vielmehr auf das Ziel des christlichen Lebens: Das ewige Leben in der vollkommenen Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott. Der Weg dorthin ist die Verchristlichung unserer gesamten Person, die gnadenhafte Verwandlung des Gläubigen zum Christusträger. Heiligkeit im orthodoxen Verständnis ist deshalb weniger eine sittliche oder gar moralische Kategorie, als vielmehr das immer mehr und mehr gleichförmig werden des Glaubenden mit dem erhöhten Herrn im Heiligen Geist (siehe Bischof Kalistos Ware; Der Aufstieg zu Gott. Glaube und geistliches Leben nach ostkirchlicher Überlieferung, Bern 1998).

 

Der Weg der uns dorthin führt, ist das Leben in Christus. Es ist der Weg der immer inniger werdenden Nachfolge Jesu Christi. In der lebendigen Gemeinschaft mit Christus verwirklicht sich unser orthodoxer Glaube. „Das aber ist das ewige Leben, dass sie Dich, Der Du allein wahrer Gott bist, und Den Du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh. 17:3).

 

Wir haben uns in der hl. Taufe Christus angeschlossen und dessen Gnade empfangen. In der hl. Myronsalbung wurde uns das Siegel des Heiligen Geistes gegeben. Dadurch sind wir befähigt worden, als lebendige Glieder im Leib Christi, der Heiligen Orthodoxen Kirche zu leben.

 

Dieses neue Leben in Christus ist der geistliche Nährboden unserer gesamten Existenz, in den wir durch die hl. Sakramente Taufe und Myronsalbung eingepflanzt und verwurzelt sind. Aus der hl. Eucharistie empfangen wir immer wieder die notwendige Kraft auf unserem weiteren Weg hin zum ewigen Leben.

 

Mit dem Herrn Jesus Christus in innigster Gemeinschaft zu leben, genau das macht einen Menschen überhaupt erst zu einem Christgläubigen. Was dies bedeutet, das erklärt und erläutert uns der hl. Nikolaos Kabasilas in seiner Schrift.

 

Wenn wir darüber zusammen nachdenken wollen, was es eigentlich bedeutet, in Christus zu leben, so möchte ich an den Anfang die Frage setzen: „Was ist eigentlich dieses Leben in Christus?“ Kurz gesagt, ist es die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen Herrn. Es ist die Verwandlung unserer gefallenen Natur in die vergöttlichte menschliche Natur des Herrn Jesus Christus. Es ist ein geistlicher Weg mit dem Ziel, zur Heiligkeit zu gelangen.

 

Dieser geistliche Weg beginnt mit der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die versammelten hl. Jünger und Apostel. Hiermit beginnt das Leben der Kirche als der mystische Leib Christi auf Erden. Der Heilige Geist hat mit der Fülle Seiner Gnade inmitten der Kirche Wohnung genommen. Er wird dort bleiben bis zum Ende der Zeiten und das Volk Gottes in alle Wahrheit führen, bewahren und erhalten. Die allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria empfing den Heiligen Geist schon zur Stunde der Verkündigung. Sie wurde so zur ersten der durch Gottes Gnade Vergöttlichten. Deshalb nennen wir sie „allheilig“.

 

Die Herabkunft des Heiligen Geistes zu Pfingsten lässt dann auch den hl. Jüngern und Aposteln die Gabe der Vergöttlichung und damit auch die Vereinigung mit dem erhöhten Herrn zuteilwerden. Damit wurde aus den Zeugen Christi die hl. Kirche, in der die ganze Fülle und Vollendung der Heilsordnung erfahren wird.

 

Deshalb schenkt der Heilige Geist auch jedem, der an Christus glaubt, die Fülle der Erkenntnis in der Vereinigung mit Gott. Der Herr Jesus Christus Selbst wird im Herzen des Gläubigen gegenwärtig durch die Überkleidung des Gläubigen mit Seiner vergöttlichten menschlichen Natur. Wir sind mit Christus deshalb getauft in Seinen Tod und Seine Auferstehung.

 

Durch das Sakrament der hl. Myronsalbung nimmt der Heilige Geist Wohnung in unserem Herzen. Er verbrennt, wenn wir Ihm gestatten, Seine Gnade in uns vollkommen zu entfalten, mit dem hl. Feuer von Gottes Heiligkeit (vgl.: Lk. 12: 49) alles weg, was den Menschen noch von Christus, dem auferstandenen und zur Rechten Gottes erhöhten Herrn trennt.

 

Das Leben in Christus ist also die gnadenhafte Vereinigung des Gläubigen mit Gott. Das Charakteristikum des Lebens in Christus ist schlechthin die Liebe. Nicht eine weltliche Liebe, sondern die Liebe in Christus, die auch das Opfer und den Verzicht mit einbezieht.

 

Hierin liegt gerade heutzutage, wo alles dem individualistischen Ego und seinem Selfstyling aller Lebensbereiche dienen soll, ein besonders wirkmächtiges Zeichen, was den christlichen Glauben in seinem Wesen ausmacht: Es ist die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen.

 

Ein Christ zu sein verwirklicht sich in der Annahme des Willen Gottes für unser Leben, nicht aufgrund von Angst oder der Hinnahme eines unpersönlichen Schicksals, sondern vielmehr im vollkommenen, gläubigen Vertrauen auf Gott und Seine alles zum Besten führende Liebe.

 

Das Leben in Christus erstreckt sich deshalb nicht nur auf meine Beziehung zu Gott, sondern wegen Christi Liebe zu allen Menschen -eben auch meinen Nächsten. Ohne diese liebende und opfernde Beziehung meines Lebens zu Gott und dem Nächsten, ist das Leben in Christus im Grunde nicht vorhanden. Erst im Sein für den anderen wird die christliche Liebe zur Praxis in unserem alltäglichen Leben, in allen unseren beruflichen, familiären und sozialen Beziehungen. Denn erst in der Beziehung zum Nächsten zeigen sich die Früchte des geistlichen Lebens. Dort wird der Mensch dann Christus als dem aus Liebe Dienenden immer ähnlicher. Er wird zum Christusträger, wenn er Geduld und Mitgefühl erlernt und zu zeigt, und wenn er Erbarmen und Liebe für seine Mitmenschen entwickelt.

 

Das Leben in Christus ist, verbunden mit dem Gebet, die Öffnung unseres Herzens für die Kraft des Heiligen Geistes und der Göttlichen Gnade.

 

Das Leben in Christus ist wesentlicher Teil des orthodoxen kirchlichen und geistlichen Lebens. Es ist deshalb nicht etwas, das außerhalb der Kirche als dem Leib Christi vollziehen könnte, sondern es ist vielmehr das Leben der Kirche selbst, an dem wir teilnehmen. Hierin liegt ein grundlegender Unterschied zu evangelisch- freikirchlichen Vorstellungen. Die Rechtfertigung ist immer ein kirchlich-gemeinschaftlicher Prozess, der uns als lebendige Steine in den Leib Christi einbindet und in die kirchliche Gemeinschaft hin verortet. „Jesus im Glauben annehmen“ heißt also im orthodoxen Verständnis immer im Leib Christi, der hl. Kirche leben.

 

Das Leben in Christus ist deshalb ein zutiefst ekklesialer Prozess. In der Kirche werden die hl. Sakramente der göttlichen Gnade dem Gläubigen angeboten, auf dass er im Heiligen Geist zu leben vermag. Auf diese Weise wird der Gläubige die Vollendung in Christus erlangen und das paulinische Wort erleben: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2: 19 f.)

 

Unser Herr und Erlöser Jesus Christus ruft uns dazu auf, als Christen nach der Vollkommenheit (der Heiligkeit) zu streben, wie „euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (vgl.: Matth. 5: 48). Zugleich aber weiß der Herr in Seiner Menschenliebe und Barmherzigkeit zutiefst, an welch unvollkommene Wesen er diese Einladung richtet: An gefallene und schwache Menschen, die zu Fehlern und Sünden neigen.

 

Deshalb kommt uns orthodoxen Christen, wenn wir von der Heiligkeit oder den Heiligen reden, unwillkürlich jener Augenblick der Feier der Göttlichen Liturgie in den Sinn, wo der Priester ausruft: „Das Heilige den Heiligen.“ Wenn wir auch nur ein klein wenig gegenüber uns selbst ehrlich sind, so müssen wir uns eingestehen: Keiner von uns ist heilig! Deshalb antwortet das Volk durch die Stimme des Chors: „Einer (nur) ist Heilig, einer ist Herr, Jesus Christus, zur Ehre Gottes des Vaters. Amen.“

 

Wir bekennen damit, dass alle Heiligkeit, jedes Gutsein, von dem Einzig Heiligen und Guten stammt, vom Herrn Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Er ist Gott Selbst, Der die Quelle aller Heiligkeit und Güte ist.

 

Der hl. Apostel Paulus gibt uns deshalb den Ratschlag, dass wir uns Christus zum Vorbild nehmen sollen, wie er selbst sich Christus zum Vorbild genommen hat. (vgl.: 1. Kor. 11: 1).

 

Welche Art von Vorbild bzw. Nachahmung ist dies jedoch und zu welcher Art von Vollkommenheit ruft Christus die Gläubigen auf? Christus lädt uns ein, vollkommen in der Freude Seiner Gegenwart zu sein! In der Freude Seiner Gegenwart zu leben, das ist das Leben in Christus!

 

Als orthodoxe Gläubige glauben wir an den Herrn Jesus Christus als Gott und Retter und nicht nur als einen wunderbaren, ethischen, weisen und guten Menschen, der zwar oberflächlich Gutes tut, uns aber nicht erneuert und errettet.

 

Aus diesem Grunde wird die Heiligkeit in der orthodoxen Kirche auch als eine personale Eigenschaft Gottes verstanden. Gott ist nicht einfach nur heilig, Er besitzt nicht nur das Attribut der Heiligkeit, sondern Er ist in Seinem Wesen der Allheilige. Wenn wir durch Christus in Gemeinschaft mit der Allheiligen Dreieinheit leben, dann strahlt diese Heiligkeit auch auf uns aus durch Seine ungeschaffenen Energien, durch die Gott sich uns offenbart.

 

Das gleiche wie für die Heiligkeit gilt ebenfalls für die göttliche Liebe. Gott liebt nicht nur, sondern Er ist die Liebe (vgl.: 1. Joh. 4: 8). Genauso wie die Heiligkeit, so macht auch die Liebe das eigentliche Sein Gottes aus. Er ist die Überfülle von Liebe. Der hl. Gregor der Theologe sagt: „Weil es dem Allgütigen nicht genügen konnte, Sich in der Betrachtung Seiner Selbst allein zu bewegen, musste sich Gottes Allgüte ausgießen und hinausgehen aus Sich Selbst.“

 

Deshalb erschuf Gott zuerst die Ordnungen der Engel und danach den Menschen. „Gottes Güte musste Sich ausgießen und hinausgehen aus Sich Selbst.“ Hierin liegt der eigentliche Wille der Dreieinigen Gottheit: In der Gemeinschaft mit allem was ist zu leben. Die Seligkeit Gottes ist zwar vollkommen, doch gerade deshalb, weil Gott die Überfülle der Liebe ist, wollte Er, dass Seine Liebe und Güte ausgegossen werde und hinausgehe zu allem, was Er in Seiner Liebe und Güte erschaffen hat. Der hl. Gregor der Theologe fasst es in die Worte: „… damit die Empfänger Seiner Wohltat sich vermehren“.

 

So erschuf Er in Seiner Güte den Menschen als Krone und Hohepriester der gesamten Schöpfung, damit der Mensch als priesterliche Person die Gemeinschaft an dieser göttlichen Seligkeit zu allem, was ist ausstrahlen möge.

 

Gott ist sowohl Liebe, und weil Er die höchste Fülle der Liebe ist, so ist Er auch die vollkommene Freiheit. Freiheit ist aber keine Anarchie, sondern, vielmehr die vollkommene Gemeinschaft, die sich im Leben des dreieinigen Gottes in aller Fülle verwirklicht.

 

Gott liebt in Freiheit und in Seiner übergroßen Liebe schenkt Er uns Anteil an dieser Freiheit. Deshalb beten wir in der Göttlichen Liturgie: „… Aus der Fülle Deines Erbarmens hast Du alle Dinge aus dem Nichtsein ins Dasein gebracht.“ So begabte Gott den Menschen als Sein dialogisches Gegenüber mit Freiheit, Geist und Seele.

 

Gott gab dem Menschen nicht, wie den Tieren, nur einen Körper und Instinkt, sondern er begabte ihn als Sein Abbild durch Geist und der Freiheit, die darin besteht, zu Seinem Ebenbild werden zu können. Gott erschuft den Menschen zur Teilhabe am innergöttlichen Leben, zur Vergöttlichung. Dadurch erhob er den Menschen sogar über die Engel, die zwar als reine Geister Gott schauen, aber nur der Mensch wurde zur Gemeinschaft mit Gott erschaffen und erhoben.

 

Als Gott den Menschen formte, formte Er ihn als ein neues Geschöpf, als Krone Seiner Schöpfung, als Liturg des gesamten Kosmos. Deshalb gab Gott dem Menschen Seinen eigenen Atem und schenkte ihm so das Leben. Damit machte Er uns ein großes, aber zugleich ambivalentes Geschenk: Er gab uns damit zugleich Anteil an Seiner Freiheit. Er wollte, dass der Mensch auf Seine Liebe mit seiner Liebe antwortete. Wenn der Mensch seine Freiheit als Liebe gebraucht; wenn er sein ganzes Sein zur Liebe gegenüber Gott und seinen Mitmenschen werden lässt, aber auch zur Liebe gegenüber den anderen Mitgeschöpfen und allem was ist; wenn der Mensch also seine Liebe gemäß seinem Ebenbild-Gottes-Sein ausgießt; dann gelangt der Mensch in seiner freiheitlichen Antwort auf die göttliche Gnade schrittweise zur Vergöttlichung. Das Hingelangen zu jener Vollendung wird jedoch niemals ein Attribut unseres menschlichen Wesens, sondern es ist immer ein lebenslanges freiheitliches Sein in der Liebe Gottes.

 

Aus diesem Grunde bedarf es auch unbedingt einer Mitarbeit seitens des Menschen im Prozess der Erlösung. Das Leben in Christus ist auch immer eine freiwillige Um- und Rückkehr des Menschen zu Gott. Deshalb sagen uns auch die hl. Väter: nichts Gutes kommt zustande durch Zwang. In einer seiner Predigten stellt der hl. Johannes Chrysostomus deshalb die Frage, warum nicht Christus den Judas Iskarioth zur Umkehr gezwungen habe. Er antwortete: „Christus hätte sehr wohl die Macht, Seinen Jünger zur Umkehr zu veranlassen gehabt, doch Er wollte nicht, dass jener das Gute durch Nötigung tue.“

 

Während Adam freiwillig wider seine eigentliche Natur handelte, handelt unser Herr Jesus Christus freiwillig gemäß der schöpfungsgemäßen menschlichen Natur und gibt uns damit das erhabenste Beispiel des wahren Menschseins. Er zeigt uns, was der Mensch ist, denn der Herr ist zugleich vollkommener Gott und vollkommener Mensch. Der Sohn Gottes wurde Mensch. Er wurde weder ein System, noch das Gesetz, noch eine Theorie, sondern Er wurde Mensch und lebte als Mensch wie wir, doch ohne Sünde, einfach und demütig.

 

Aus diesem Grunde wird auch die Heiligkeit, die uns die Rechtfertigung schenkt, in der orthodoxen Kirche nicht einfach als ethisch-sittliche Kategorie verstanden. Heiligkeit ist eine Gabe des Heiligen Geistes; sie betrifft – wie bereits erklärt - unser persönliches und auch unser kirchliches Sein.

 

Einige Gläubige scheinen aber bisweilen zu glauben, dass das Leben in Christus eine schuldlose Heiligkeit sei, mit dem unmittelbaren Ziel der Vergöttlichung. Hier ruft uns der hl. Apostel und Evangelist Johannes dann in Erinnerung: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1. Joh. 1: 8). Wenn wir auf große orthodoxe Heilige wie zum Beispiel auf das Leben der Heiligen Siluan und Paisius vom Heiligen Berg Athos blicken, so erkennen wir sofort, dass kein wirklich Heiliger sich selbst als heilig betrachtet hat. Ganz im Gegenteil: Die Heiligen betrachteten sich stets mit Demut und erkannten dabei, wie wenig heilig jeder Mensch in Wirklichkeit ist und wie viele Sünden und Fehler tagtäglich noch in uns allen stecken. Denn es gelten uns allen die Worte des hl. Johannes Chrysostomus, dass „jener, der sich selbst nicht als vollkommen betrachtet, vollkommen ist.“

 

Unsere Erlösung beginnt und fußt immer auf der Bereitschaft zur Demut. Nicht wir sind in uns vollkommen. Es war gerade die Lüge der Schlange: „Ihr werdet sein wie Gott“. Nur Gott allein ist der Allheilige, der Vollkommene, wir alle aber können nur heilig und vollkommen in dem Sinne werden und sein, dass die Heiligkeit und Vollkommenheit Gottes auf uns scheint und unsere Herzen und Seelen erwärmt, wie es die Strahlen der Sonne tun. Die wahre Heiligkeit ist eine Wirkung unserer Liebesgemeinschaft mit Gott. Sie ist niemals eine künstliche oder verpflichtende Heiligkeit wie jene der Pharisäer, die Äußerlichkeiten verabsolutierten und sich dann selbst als „vollkommen“ wähnten.

 

Der Herr Jesus Christus zeigte uns in Seinem ganzen Lebensbeispiel jenes charakteristische Element echter Heiligkeit, das ihnen fehlte, aber in den Sündern, die bereit waren umzukehren, vorhanden war. Dies aber war nichts geringeres als die Demut, die den Menschen zur echten Reue und wahrhaftigen Umkehr und am Ende schließlich in die Liebe Gottes führt.

 

Das echte Leben in Christus finden wir in der beständigen Umkehr und im Suchen des Erbarmens Gottes. Wir erflehen Sein Erbarmen, nicht um irgendwelche „Fähigkeiten“ zu erwerben, die uns „besser“ als unsere Schwestern und Brüder machen würden. Täuschen wir uns nicht! Der Hochmut ist das innere Gift jeder Sünde! Er lässt uns nur immer eingebildeter werden und verhindert in seinem narzisstisch-selbstüberheblichen Charakter am Ende, dass unsere Seele vor dem Verderben gerettet werden kann. Vladika Antonij von Surosh sagte einmal: „Gott kann den Sünder retten, der du bist, nicht jedoch den Heiligen, für den du dich selbst hältst!“

 

Deshalb ist es notwendig, dass wir den Grund für unsere Umkehr recht verstehen: Gott hat uns trotz unserer Verstrickungen in Sünde und Schuld nicht verlassen. Diese tröstliche Wahrheit darf die Seele des Christen mit Hoffnung, Zuversicht und Freude erfüllen. Es ist dieser Trost, der den verlorenen Sohn ohne zu zögern umkehrten und Christus entgegenlaufen lässt. Diese Umkehr wird uns in die Nähe Christi führen, von Dem wir uns zuvor durch Sünde und Schuld entfernt haben.

 

Ein wichtiger Aspekt unseres Lebens in Christus ist das Gebet, wie es uns von unserem Herrn Jesus Christus selbst und von den hl. Vätern gelehrt worden ist. Das Gebet ist aber nicht selbst das eigentliche Ziel. Es ist vielmehr ein Mittel, wie es auch das Fasten und die übrigen Werke der Frömmigkeit und Askese sind. Unsere Erlösung besteht darin, dass der Mensch in Christus zum Kind Gottes wird. Der hl. Nikolaos Kabasilas sagt darüber: „Mit Seinem Tod hat uns der Erlöser nicht nur befreit und mit Gott versöhnt; Er gab uns auch die Macht, Kinder Gottes zu werden (vgl.: Joh. 1: 12). Er, der unsere (menschliche) Natur mit sich vereinte, indem Er Fleisch annahm, vereint jeden von uns mit Seinem Fleisch. Von jetzt an erkennt der Vater ... in uns die Glieder Seines Einziggeborenen und Er entdeckt auf unseren Gesichtern das Antlitz Seines Sohnes“.

 

Das Buch des hl. Nikolaos Kabasilas über unser Leben in Christus ist auch eine einzigartige Verkündigung unserer Gotteskindschaft. Ein Kind Gottes zu sein (vgl.: Röm. 8: 14-16) macht den Gläubigen zum Erlösten, ein königliches Wesen, das im Hause seines Vaters frei ist, weil es sich nicht nur als dessen Kind erlebt, sondern es auch wirklich ist.

 

Die Realität dieser Gotteskindschaft beinhaltet nicht nur unsere Beziehung zu Gott. Sie verwandelt vielmehr unser ganzes Wesen. Der hl. Nikolaos Kabasilas wird nicht müde, uns an diese alles entscheidende Wirklichkeit zu erinnern: Unsere wirkliche Teilhabe an der Liebe und dem Leben Gottes.

 

Durch Christus, der unsere menschliche Natur annahm und sie dabei vollkommen vergöttlicht hat haben auch wir Anteil am göttlichen Leben in Jesus Christus. Wir sind deshalb auch wahrhaft frei, weil wir in Christus wahre Gotteskinder sind und somit wahrhaft vergöttlicht werden.

 

Die echte Verchristlichung führt uns zur echten Vergöttlichung, weil „Christus die Sklaven befreit und sie zu Gotteskindern macht; denn Er, Der selbst der Sohn und frei von jeder Sünde ist, gibt ihnen Anteil an Seinem Leib, an Seinem Blut, an Seinem Geist und an allem, was zu Ihm gehört. So schafft Er neu, befreit und vergöttlicht, indem Er sich selbst in unser Sein ergießt (und es so) gesund, frei und wahrhaft göttlich“ macht.

 

So beschreibt der hl. Nikolaos Kabasilas unser neugewonnenes Leben in Christus. Man kann die alles verwandelnde Wirklichkeit unserer Erlösung und unserer Rechtfertigung kaum besser in Worte fassen.

 

Priester Thomas Zmija