Die Fürbitte für die Entschlafenen und das Totengedenken in der orthodoxen Kirche

 

Für die orthodoxen Gläubigen ist das Gedenken an die Toten wichtig, denn sie sind weiterhin Teil der Gemeinde, die alle Lebenden und Toten, und auch die unsichtbaren Mächte, die Engel, umfasst. Die Toten sollen eben nicht vergessen werden, sondern ihr Andenken wird durcheine Reihe von Gottesdiensten für die Familien der Verstorbenen wieauch für die Gemeinde aufrecht erhalten. Die Seele des Menschen ist als Geschenk Gottes unsterblich und wird nach dem Tode durch Seine Gnade wieder  mit  Ihm  vereint. „Im Unterschied zu den Menschen, ‚die keine Hoffnung haben’  (1. Thess. 4: 13), nehmen gläubige Menschen am Grab nicht Abschied von jemandem, der ins Nichts verfällt, sondern in ein anderes Leben übergeht, das seine Vollendung am Ende der Zeiten haben  wird“. Auch der Leib des Verstorbenen wird bei der Wiederkunft des Herrn auferstehen. „Indem wir für die Toten beten, können wir hoffen, für sie die Vergebung zu erlangen. Der heilige Johannes sagt uns in der Offenbarung,dass auch umgekehrt die Toten für die Lebenden beten können (vgl.: Offenbarung 5:8;8,3). Er vergleicht sogar ‚die Gebete aller Heiligen’ vor dem Altar mit‚ einer goldenen Räucherpfanne.

 

Der Tod zerbricht nicht die Einheit des Leibes Christi: Die Glieder der Kirche, die noch in dieser Welt kämpfen, und diejenigen, die schon ihre Krone in der anderen empfangen haben, sind Teil  des gleichen Leibes. Das ist, was wir die Gemeinschaft der Heiligen nennen. Nach dem Tod eines orthodoxen Gläubigen kommt der Priester, wo das in der Diaspora möglich ist, zu einem Totengebet ins Haus. Zur Beerdigung findet ein Gottesdienst in der Kirche statt und auf dem Friedhof ein Gebet am Grab. Es gibt zwei allgemeine Gedenktage im Jahr für die Toten, die sogenannten Seelensamstage. Der erste ist der Samstag vor dem dritten Vorfastensonntag der Großen Fastenzeit (der   Sonntag des Gerichts beziehungsweise des Fleischverzichts), der zweite ist der Samstag vor Pfingsten. Aber auch an allen anderen Samstagen (mit Ausnahme des Lazarus-Samstags) wird der Märtyrer und der Verstorbenen gedacht.

Für den einzelnen Verstorbenen finden Totengedenken am dritten, neunten und vierzigsten Tage nach ihrem Tode statt und dann jeweilsam Jahrtag. Der dritte Tag erinnert an die dreitägige Grabesruhe des Herrn, der neunte erinnert an die neun Chöre der Engel und der vierzigste an die Himmelfahrt Christi am vierzigsten Tag nach Seiner Auferstehung.

 

Für das Totengedenken am Sonntag während der Göttlichen Liturgie, lassen die Angehörigen eine Prosphore, ein Opferbrot in den Altar bringen, damit der Priester Gedenkteilchen gemäß der aufgeführten Namen auf dem mitgegebenen Gedenkzettel oder aus dem mitgegebenen Gedenkbüchlein während der Proskomidie auf den Diskos legt.

 

Wird die Göttliche Liturgie an einem Samstag gefeiert, so gedenkt der Priester in einer besonderen Fürbitte (Ektenja) zum Ende der Liturgie der Katechumenen und während der Anaphora der zum Herrn entschlafenen orthodoxen Christen auf den beigefügten Gedenkzettel. In der Göttlichen Liturgie am Sonntag kann eine Litia gefeiert werden. Sie wird mit dem Gesang des Trishagion kurz vor dem Schluss der Göttlichen Liturgie eingeleitet und ist eine Kurzform der Panychida (Parastas).

 

Für das Totengedächtnis wird eine spezielle Totenspeise, die im Wesentlichen aus gekochten Weizenkörnernbesteht, die sogenannte Kutja (Koliva) zubereitetet und auf den Kanoun, einem besonderen kleinen Opfertisch vor einer Kreuz-Ikone mit der Möglichkeit zum Aufstellen von Opferkerzen für das Totengedächtnis bereit gestellt. In die Koliva wird eine Kerze gesteckt und auch die anwesenden Gläubigen, Angehörigen und Freunde halten brennende Kerzen in den Händen. Nach der Litia folgt der Schlusssegen der Liturgie und dann wird auch diese Gedächtnisspeise an die Gläubigen verteilt. Dies kann durch einen der Altardiener oder einen Angehörigen erfolgen. Der Verteilende sagt: „Zum Gedenken an der Knecht Gottes (oder Die Magd Gottes)! und nennt ihre Namen. Die empfangenden Gläubigen antworten daraufhin: „Ewiges Gedenken!“ Die Bereitung der Koliva ist ein Brauch, der bis in die christliche Antike zurückreicht.

 

Findet ein Totengedenken nicht im Rahmen einer Göttlichen Liturgie statt, so wird es in der Form einer Panychida (Parastas) gebetet. Das Wort drückt den Beistand aus, den die Anwesenden beim Gebet den Leidtragenden leisten.

 

Diese Gedächtnisgottesdienste wie auch die Werke der Barmherzigkeit als Totengedächtnis sind Ausdruck der Verbundenheit und der Fürsorge für die Menschen über ihren Tod hinaus. Sie dürfen nicht als genugtuende Leistungen der Lebenden für die Toten verstanden werden, sondern als Beistand in einer fortdauernden Gemeinschaft, der in der an Gott gerichteten Bitte besteht, sich ihrer zu erbarmen. Die Liebe, die über den Tod hinaus lebt, bewahrt die Entschlafenen in lebendiger Erinnerung, genährt durch die Zuversicht, daß Gott sie in Seine himmlische Herrlichkeit aufnimmt und in Seinem ewigen Gedächtnis bewahrt. In diesem Bewußtsein schließt die eucharistische Versammlung sie nach der Wandlung in ihre Fürbitten-Diptychen ein: „... Gedenke auch aller, die in der Hoffnung der Auferstehung zum ewigen Leben entschlafen sind. Schenk ihnen die Ruhe dort, wo das Licht Deines Angesichtes leuchtet.“ Darum betet der Priester für den oder die Verstorbene(n): ...„dass seine (ihre) Seele(n) Ruhe finden möge(n) ‚am Orte des Lichtes, am Orte des Ergrünens, am Orte der Erquickung, wo entfliehen aller Schmerz, alle Trauer und Klage.“

 

Vor allem aber müssen wir uns als Christgläubige die alles verwandelnde Wende des menschlichen Geschickes durch Christi Tod und Auferstehung vor Augen halten. Denn durch dieseist der leibliche und der geistliche Tod entmachtet worden. Dies aber hat Konsequenzen für die in Christi Leib Hineingetauften: Der Tod vermag sie von nun an nicht mehr voneinander zu scheiden. Zwar gibt es für uns auf Erden Lebende, die allzu oft nur die sichtbare Welt wahrnehmen, noch immer ein Abschiednehmen beim leiblichen Tode. Aber die zur Ruhe in Gott Eingegangenen sind von uns, aber auch von den Engel und Heiligen im Himmel nur scheinbar getrennt. Dies wird erfahren in der Gemeinschaft der Kirche, wo die Heiligen und mit ihnen alle in der Seligkeit Ruhenden mit ihrer Fürbitte und ihrem himmlischen Gottesdienst den noch im irdischen Kampf stehenden Gliedern des einen mystischen Leibes Christi, der heiligen orthodoxen Kirche im Heiligen Geist verbunden sind.

 

Priester Thomas Zmija