Das Stundengebet

 

Das Stundengebet, auch Gebet der Tageszeiten genannt, ist die Antwort der Kirche auf die Aufforderung des heiligen Apostels Paulus an die Gläubigen: „Betet ohne Unterlass“ (1. Thessalonicher 5:17). Bereits die alttestamentliche Kirche kannte für die Abfolge der Gottesdienste im Jerusalemer Tempel fünf Gebetszeiten, wobei die Gebete am Morgen und am frühen Abend eine besondere Bedeutung besaßen. Noch heute beten wir mit den Lobpsalmen ("Alles was Odem hat, lobt den Herrn" = Psalmen 148-150)  und der Großen Doxologie in der Utrenja (Morgengottesdienst) und mit den Luzernarpsalmen (Psalm 140 & 141) und der abendlichen Doxologie in der Vecernja (Abendgottesdienst/ Vesper) wichtige Teile aus der Jerusalemer Tempelliturgie. Seit der Zeit des babylonischen Exils war auch private regelmäßigen täglichen Gebet an jeden Morgen und Abend fest im Leben der alttestamentlichen Gottesfürchtigen verankert, so dass der heilige Prophet König David sagt: „Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob und nachts stehe ich auf, um Dich zu preisen“ (vgl. Psalm 118: 62 und Psalm 163). Aus den heiligen Evangelien wissen wir, dass auch unser Herr Jesus Christus und die heiligen Apostel regelmäßig am Morgen und am Abend beteten, sowie am Gottesdienst im Tempel und in den Synagogen teilnahmen (zum Beispiel bei Lukas 4: 16). Außerdem hat unser Herr Jesus Christus immer wieder die frühe Morgenstunde und die nächtliche Stunden rund um Mitternacht dazu genutzt, sich zum Gebet zurückzuziehen (vgl. Matthäus 5:26, 36; Lukas 9:18, 22:39-46 und viele andere Stellen mehr).

 

So war das Leben des Herrn, der nicht nur vollkommener und wahrer Gott, sondern auch vollkommener und wahrer Mensch ist, in der Zeit Seines Erdenlebens vom siebenfachen Gebetsrythmus des alttestamentlichen Gottesvolkes erfüllt. Dies war damals nichts Außergewöhnliches, sondern Ausdruck des religiösen Lebens aller Frommen im Volke Israel. Das Gebet Israels speiste sich besonders aus den Gebeten und Hymnen der Psalmen, die Christus gegenüber den Schriftgelehrten und Pharisäern immer wieder auf sich selbst bezog (Zu den prophetisch auf das Kommen des Heilandes hinweisenden Psalmen gehört besonders der Psalm 22 (Psalm Psalm 22:2.8.16.19) aber auch die Psalm 2: 6–9 & Psalm 16: 10). Als nach der Himmelfahrt des Herrn und dem Kommen des Heiligen Geistes zu Pfingsten die Apostel die Fülle des in Christus gekommenen Heiles zu begreifen begannen, entstand mit der christlichen Kirche des neuen Bundes auch das ein genuin christliches Beten. Die heiligen Apostel bereicherten das überkommene alttestamentliche Gebetsgut durch christologische Hymnen (vgl.: Kolosser 1,15-20; Epheser 1: 3-14; 1. Korinther 15: 35-49), vor allem aber verstand die vom Wirken des Heiligen Geistes erfüllte junge Kirche die Worte des Buches der Psalmen nun als von Christus gesprochenes und Ihn verkündendes Glaubensgut.

 

Das zentrale Moment allen christlichen Betens wurde aber das Gebet des Herrn, das „Vater Unser“, das den Dank und Lobpreis gegenüber Gott dem Vater mit zentralen menschlichen Bitten verbindet. Dieses Gebet ist der Herzschlag und Wesenskern allen christlichen Betens, hat doch der Herr Selbst es Seine Apostel und Jünger zu sprechen gelehrt (Lukas 11: 1-4). Seit der Gründung der Kirche durch Christus selbst bis heute gibt es keine christlich-orthodoxe Gebetszeit, in der wir nicht das Gebet des Herrn sprechen. 

 

In apostolischer und nachapostolischer Zeit entfaltete sich das christliche Beten immer weiter, wobei es gleichzeitig die mündlichen Anordnungen der heiligen Apostel, die Heilige Apostolische Tradition treu bewahrte. Um diesen Kern entwickelte sich im Laufe der kommenden Jahrhunderte die christlich-orthodoxe Gebetsordnung, wobei weitere Gebete durch die Heiligen dem apostolischen Kern der Gebetsordnung hinzugefügt wurden. So stammt zum Beispiel der Christus-Hymnus „Mildes Licht“ (griechisch: Φς λαρόν = „Phos Ilaron“ “, den wir noch heute in der Vecernja (Vesper) zu Einzug singen, in seiner heute überlieferten Textfassung bereits aus dem zweiten Jahrhundert. Jedoch ist der Hymnus weitaus älter, denn er wurde bereits von den christlichen Märtyrern in Rom während der neronischen Christenverfolgung gesungen. Andere Gebete und Hymnen stammen von den Heiligen Ephrem der Syrer, Johannes Chrysostomus und Basilius dem Großen, von den großen Hymnendichtern der byzantinischen Epoche, wie dem Heiligen Romanos dem Meloden und vielen anderen Heiligen unserer orthodoxen Kirche. Bis in unsere Tage hinein werden dem orthodoxen Gebetsschatz immer wieder neue Gebete (wie zum Beispiel das Gebet der heiligen Optina Starzen) hinzugefügt, ohne dass wir die älteren Gebete dabei vergessen. So spiegelt die Entwicklung der orthodoxen Gebetsordnung das beständige Wirken des Heiligen Geistes in der Geschichte der Kirche wieder. 

 

Wurden in der Frühzeit der Kirche die Gebetsordnungen noch auswendig rezitiert und entsprechend dem Empfinden des Beters oder des Liturgen auch erweitert und ergänzt, so fanden die Texte der orthodoxen Gebete zur Zeit der heiligen Basilius des Großen und Johannes Chrysostomus (Mitte des 2. Jahrhunderts) zu einer festgelegt und dann auch niedergeschriebenen Form. Orthodoxe Christen beten mit den Worten der orthodoxen Gebetsordnung, die sie im Gebetbuch oder dem Stundenbuch (griechisch: ρολόγιον = „Horologion“; slawisch: Часocлoвъ = „Časoslov“) finden, da sie mit den Worten der Heiligen und der orthodoxen Kirche beten möchten; jedoch eröffnet das persönliche und häusliche Gebet jederzeit auch Raum um Bitte, Lobpreis und Anbetung mit selbst formulierten Worten vor Gott bringen zu können.

 

Aus der Tradition des alttestamentlichen Gottesvolkes sich mehrmals am Tage zum Gebet zu versammeln, entwickelte sich in der apostolischen Kirche bereits eine Vorform des heutigen orthodoxen Stundengebetes. Diese Gebetszeiten wurden in der versammelten Gemeinde gemeinsam gebetet. Neben das Psalmengebet trat im christlichen Gottesdienst der christologische Hymnengesang. Ganz zentral war das gemeinsame Gebet des „Vater Unser“.

 

Diese apostolische Struktur des frühchristlichen Stundengebetes erscheint für uns deutlich erkennbar in den frühen überlieferten Kirchenordnungen wie der „Zwölf-Apostel-Lehre“ und den „Apostolischen Überlieferungen“. So kennen die „Apostolischen Überlieferungen“ aus dem 3. Jahrhundert bereits das Gebet der Gläubigen beim Aufstehen, zur dritten, sechsten und neunten Stunde, beim Sinken der Sonne (Hesperinos), beim Schlafengehen  (Apodipnon) um Mitternacht (Mitternachtsgebet) und beim ersten Hahnernschrei (Orthros). Eine ähnliche Gebetsordnung kennen wir auch aus den „Apostolischen Konstitutionen“ im 4. Jahrhundert.

 

Aus diesem Stundengebet in den christlichen Gemeinden entwickelte sich dann nach der konstantinischen Wende das "Kathedraloffizium“. Es war die Weiterentfaltung des einfachen Stundengebetes in den frühen christlichen Gemeinden in der Verfolgungszeit. Schon in den frühchristlichen Gemeinden war dieses gemeinsame Stundengebet die liturgische Grundform des kirchlichen Lebens, da es in der frühen Kirche die Feier der Göttlichen Liturgie nur an den Sonntagen gab. Nachdem die Kirche durch die Alleinherrschaft des Heiligen Apostelgleichen Kaisers Konstantin Ruhe und Frieden gefunden hatte, entfaltete sich von den frühchristlichen Bischofskirchen aus die Feier des Stundengebetes in nun ausgeprägten und feierlicheren Formen. Dabei versammelte sich die gesamte Gemeinde der Stadt zum Morgen- und Abendlob, während die kleineren Gebetszeiten meist von den Frommen, den ersten Asketen und dem Witwen- und Jungfrauenstand (1. Korinther 7: 25-38) gebetet wurden.

 

Typisch für das Kathedraloffizium war, dass es noch kein vollständiges Psalmengebet des ganzen Psalters kannte, sondern bestimmte Psalmen für die Gebetszeiten auswählte. So wurde etwa der Psalm 62 beim Morgen- und der Psalm  140 beim Abendlob der Gemeinde in antiphonischer Weise gesungen. In der damaligen Zeit tritt für das Morgen- und  Abendlob auch das feststehende Fürbittengebet hinzu, wie wir es noch heute bei Utrenja und Vecernja, aber auch der Feier der Göttlichen Liturgie als Ektenien kennen.

 

Die Vecernija entwickelte sich damals zur Luzernar- oder Lichtfeier, die Christus, das abendlose Licht verherrlicht. Zur Kathedralvesper gehörte das rituelle Entzünden des abendlichen Lichtes und die Darbringung des Weihrauchs zum Gesang von Psalm 140 („Aufsteige mein Gebet wie Weihrauch“). Ein kleines Stück der Kathedralvesper hat die Zeiten in der heutigen Liturgie der Vorgeweihten Gaben in Gestalt des Ritus des „Feierlichen Weihrauchopfers“ überdauert.

 

Im 3. Jahrhundert entwickelte sich aus einzelnen, damals noch in der Gemeinde lebenden Asketen sowie dem Witwen- und Jungfrauenstand langsam zuerst das anachoretische (Einsiedler-) Mönchtum und dann das konobitische (gemeinschaftliche Kloster-) Mönchtum. Von dieser monastischen Bewegung ging dann ein wesentlicher Einfluss auf die weitere Entwicklung des Stundengebets zu der uns heute bekannten Form aus.

 

Hatte das Stundengebet schon bei dem eremitischen Mönchtum des heiligen Antonius des Großen einen wesentlichen Teil des Tagesablaufes ausgemacht, weil die Eremiten im Gegensatz zum gemeindlichen Kathedraloffizium zwischen den einzelnen Gebetsstunden auch den gesamten Psalter zu beten pflegten (griechisch Μελέτη =Übung oder Praxis genannt), so wurde die Lesung des gesamten Psalters nun in in den Klöstern des heiligen Pachomios fest in die Gebetsordnung integriert. Der heilige Johannes der Römer (Johannes Cassian) berichtet uns aus Ägypten, das in den Klöstern Ägyptens in jeder Gebetszeit zwölf Psalmen von einem Lektor vorgetragen wurden. Auf jeden Psalm folgte eine Zeit des stillen Gebets im Stehen mit erhobenen Armen, gefolgt von einer Ekphonese, die  dann der Vorsteher sprach. Nach zwölfmaliger Wiederholung beschloss eine Schriftlesung aus dem Alten und Neuen Testament die einzelne Gebetszeit. Bei der nächsten Gebetszeit wurden dann die nächsten zwölf Psalmen in dieser Weise gesprochen, und nach dem Psalm 150 begann der Turnus wieder von vorn.

 

Bei dieser Form des gemeinschaftlichen monastischen Psalmengebetes werden die einzelnen Psalmen nicht aus inhaltlichen Gründen ausgewählt, sondern der gesamte Psalter wird als fortlaufende Lesung (lectio continua) gebetet. Aus dieser Art des Psalmengebetes entwickelte sich später die orthodoxe Tradition, in die Vecernja einen Abschnitt (Kathisma) der  fortlaufenden Psalmenlesung und in die Utrenja sogar bis zu drei Kathismen zu integrieren.

 

Die beiden liturgischen Formen des Stundengebetes, die monastische Klosterordnung und die gemeindliche Kathedralordnung dürfen wir uns jedoch weder als eine klar trennbare historische Abfolge, noch als schroffe Gegensätze vorstellen, denn schon bald gab es in den Städten des byzantinischen Reiches Stadtklöster, die dort das monastische Stundengebet vollzogen und auch an den in den byzantinischen Städten häufig anzutreffenden Privatkapellen und kleinen Familienkirchen gab es immer wieder Kreise von Frommen, die ganz bewusst Teile des monastischen Lebens und Betens in ihr eigenes Frömmigkeitsleben integrierten, ohne am Ende selbst Mönche zu werden. So stellen das monastische Stundengebet und das Kathedraloffizium eher zwei Gebetsordnungen dar, die dann zwischen dem 08. und 13. Jahrhundert unter dem maßgeblichen Einfluss des, die palästinensisch-monastischen Vorbilder aus dem Mar- Sabbas- Kloster bei Jerusalem aufgreifenden, Konstantinopolitaner Studion-Klosters zu einer neuen Synthese gebracht wurden, die die spirituell-liturgischen Anliegen des Mönchtums mit dem geistlich-liturgischen Erbe an den städtischen Kathedralen zu verbinden wusste. Ab dem 13. Jahrhundert hatte das orthodoxe Stundengebet dann seine heutige, uns bekannte Struktur angenommen.

 

In der orthodoxen Kirche ist das Stundengebet niemals zum Breviergebet der Kleriker und zum Offizium der Mönche wie in der lateinisch-römischen Kirche geworden, sondern es ist stets das Gebet der gesamten Kirche geblieben. Vor allem in den griechisch geprägten orthodoxen Kirchen ist ein gekürztes Stundenbuch bis heute ganz selbstverständlich das Gebetbuch der Laien geblieben.

 

Deshalb wird das Stundengebet als Aufstieg zum Höhepunkt aller orthodoxen Gottesdienste, der Feier der Göttlichen Liturgie auch in den Pfarrkirchen gebetet. Dabei wird die immer gleiche orthodoxe Gottesdienstordnung des klösterlichen Typikons der Kraft der Sänger und des Zelebranten, aber auch dem geistlichen Fassungs- und liturgischen Konzertationsvermögen der Gemeindemitglieder, sowie dem körperlichen Durchhaltevermögen aller angepasst. Den zu den Gläubigen in einer Pfarrgemeinde gehören im Gegensatz zu einer monastischen Gemeinschaft selbstverständlich auch Kinder. Aber grundsätzlich folgt das gesamte orthodoxe gottesdienstliche Leben in Gemeinde- und Klosterkirchen der gleichen Ordnung. 

 

n den orthodoxen Klöstern beginnt der Tageslauf am Abend bei Sonnenuntergang (vgl.: 1. Mose 1: 5). Deshalb ist der letzte Gottesdienst eines Tages die Non (Neunte Stunde) und der erste Gottesdienst ist die Vecernja (Hesperinos/Vesper). Damit beginnt der neue liturgische Tag bei Sonnenuntergang.

Die Bezeichnungen der einzelnen Gebetsstunden lauten:

 

·  Hesperinos (griechisch: σπερινός, russisch: Вечерня ): die Vecenija oder das Abendlob (Vesper) bei Sonnenuntergang

 

·       Apódipnon (griechisch: πόδειπνον = nach dem Essen“ russisch:  Повечерия ) Das kirchliche Nachtgebet vor dem Zubettgehen. 

 

· Mesonyktikon (griechisch: Μεσονυκτικόν, russisch: Полунощница): Das Mitternachtsgebet. Es wird in den Klöstern meist als erstes Gebet nach der Nachtruhe gesprochen.

 

·  Orthros (griechisch: ρθρος, russisch: Утрения): Die Utrenja oder das Morgenlob bei Sonnenaufgang.

 

·        Prōtē Hōra (griechisch: Πρώτη ρα, russisch: Первый час): Die erste Stunde (Prim), etwa um sechs Uhr morgens. Die erste Stunde ist dem Lobpreis Gottes als Schöpfer gewidmet und wird gewöhnlich direkt im Anschluss an den Orthros gebetet.

 

·     Tritē Hōra (griechisch: Τρίτη ρα, russisch: Третий час): Die dritte Stunde (Terz) um neun Uhr morgens. Die dritte Stunde ist dem Gedächtnis des Herabkommens des Heiligen Geistes an Pfingsten gewidmet (Der Heilige Geist kam zur dritten Stunde auf die Heiligen Apostel herab).

 

·    Hektē Hōra (griechisch: κτη ρα, russisch: Шестый час): Die sechste Stunde (Sext) ist das Mittagsgebet um 12.00 Uhr mittags. Sie  ist dem Gedächtnis an die Kreuzigung Christi, die zu dieser Stunde geschah gewidmet.

 

·   Enatē Hōra (griechisch: νάτη ρα, russisch: Девятый час): Die neunte Stunde (Non) um drei Uhr nachmittags. Sie ist dem Gedächtnis an den Tod Christi, der zu dieser Stunde eintrat gewidmet.

 

Während die Utrenja heute besonders stark vom Geist klösterlichen Betens geprägt

ist und infolge der Komplexität der Variationsmöglichkeiten, die sich aus dem

Heiligen- und Festkalender in Jahreslauf ergeben auch im gottesdienstlichen

Vollzug der Anspruchsvollste der Stundengottesdienste ist, zeigt vor allem die Große

Vesper besonders schön die byzantinisch-orthodoxe Synthese aus gemeindlichem

und klösterlichen Beten, das das gesamte Stundengebet der orthodoxen Kirche bid

heute prägt: Die sonntägliche Vesper (am Samstag Abend) besteht nach der

Eröffnung aus einem ersten Teil in monastischer Tradition, an den sich eine

Kathedralvesper mit Luzernar, den Abendpsalmen 140, 141, 129 und 116 und damit

verbundener Weihrauchdarbringung, dem Einzug beim Gesang des Hymnus „Mildes

Licht“ und den Lobpreis des greisen Symeon bei seiner Begegnung mit dem Herrn,

das „Nun entlässt Du, o Herr, Deinen Diener in Frieden“ anschließen.

 

Priester Thomas Zmija

 

Die liturgische "byzantinische" Einteilung der Tageszeiten

 

Von großer Bedeutung sind in der orthodoxen Kirche die Gebetsgottesdienste. Sie gliedern in ihrer liturgischen Abfolge den Tageslauf nicht nur in den Klöstern sondern auch in den Kirchengemeinden der Dörfer und Städte. Der liturgische Tag endet mit der Neunten Stunde und der darauf folgende neue Tag beginnt mit der Vecernja, dem kirchlichen Abendgebet (vgl.: 1. Mose 1: 5). Der orthodoxe liturgische Tag folgt der byzantischen Zeiteinteilung, die den Tageslauf nicht in vierundzwanzig, sondern in 12 Stunden gliedert. Die byzantinische Zeiteinteilung hat die in der Antike übliche Zeitbemessung vollständig übernommen, so dass sie den biblischen Zeitangaben, zum Beispiel bei der Passion Christi entspricht.

 

Der byzantinische Tag und das orthodoxe Stundengebet sind folgendermaßen gegliedert:

 

Abendstunde (bei Sonnenuntergang) - 17:00 bis 21:00 (je nach Jahreszeit) - Hesperinos/ Vecernja / Vesper (Abendgebet)

Nachtstunde - 21:00 bis 00:00 - Apodipnon  / Polunoschnitza/ Komplet 

Stunde der Mitternacht - 0.00 bis 03.00 Uhr - Mesonyptikon (Mitternachtsgebet)

Morgenstunde - 03:00 bis 06:00 Uhr - Orthros/ Utrenja/ Mette & Laudes

erste Stunde des Tages - 06:00 bis 09:00 Uhr - Erste Stunde (Prim = erste der kleinen Horen)

dritte Stunde des Tages -09:00 bis 12:00 Uhr - Dritte Stunde (Terz = zweite der kleinen Horen )

sechste Stunde des Tages - 12:00 bis 15:00 Uhr - Sechste Stunde (Sext = dritte der kleinen Horen)

neunte Stunde des Tages - 15:00 bis 18:00 Uhr - Neute Stunde (Non = vierte der kleinen Horen)

Hier endet der biblische und byzantinische Tag und der folgende Tag beginnt.

 

In der Praxis werden jedoch verschiedene Einzelabschnitte des orthodoxen Stundengebetes zu einem Gottesdienst zusammengezogen. Für das Abendgebet sind dies: Neunte Stunde, Vecernja und Komplet; für das Morgengebet Mitternachtsgebet, Utrenja und Erste Stunde (Prim). An Sonntagen und an hohen Festtagen werden Vecernja und Urenja mit der Ersten Stunde (Prim) als Nachtwache (griechisch: αγρυπνια, russisch: Всено́щное бде́ние) zu einem Gottesdienst zusammengefasst. 

 

Das orthodoxe Stundengebet bildet liturgisch die gesamte christliche Heilsökonomie ab. So ist die Erste Stunde dem Gedächtnis des göttlichen Schöpferhandelns, die Dritte Stunde der Erinnerung an die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten, die Sechste Stunde dem Gedenken an die Kreuzigung des Herrn, die neunte Stunde dem Gedächtnis an den Tod Christi, die Vecernja an die Vorankündigung des kommenden Heiles durch das Alten Testament sowie die alttestamentliche Zeitspanne bis zur Fleischwerdung Christi gewidmet. Das Mitternachtsgebet wiederum steht für die Wartezeit bis zum Kommen Christi und der Morgengottesdienst, die Utrenja symbolisiert die Erfüllung der Zeit, das Anbrechen des Heiles durch das Kommen Christi (Evangelium (griechisch: εὐαγγέλιον) = Frohe Botschaft des Heiles).

 

Das gesamte orthodoxe Stundengebet bildet zusammen gleichsam die Stufen einer Treppe, die uns geistlich darauf vorbereitet, zur Feier der Göttlichen Liturgie emporzusteigen, in der dann die gesamte Heilsökonomie Christi für uns aktualisiert wird. Deshalb ist die Feier der Heiligen Liturgie Schlußstein und Krönung des Torbogens der Anbetung, den wir mit der Feier des Stundengebetes errichten, der uns dann in der Göttlichen Liturgie mit dem Empfang der Heiligen Kommunion zur personalen Begegnung mit Christus, dem menschgewordenen Gott und dem inkarnierten Göttlichen Heil hineinführt.

 

Priester Thomas Zmija